Lejo zeigt in seinen “Wiener Kennzeichen” Bilder von - Wiener Kennzeichen. Nicht Bilder von Wienern, denn da ist ja zum Beispiel einer “kaa wiena. sie san a..., wos san sie?”, oder andere sind ein Pudel, oder eine Wienerin, naja, vielleicht doch nur eine freundliche, seniore Dame mit einem (unzweifelhaft Wiener) Kennzeichen namens “Hunderl” am Arm.
Bilder von Kennzeichen also, von Unterschieden, die isoliert nicht so einfach darzustellen sind, daher werden Menschen gebeten, sie zu verkörpern.
Diese Menschen sind jedenfalls direkt aus dem Wiener Leben gegriffen, wir begegnen den Originalen fast täglich, aber nicht auf der Straße, sondern in unseren Fotoalben: Aus dem Fundus der privaten Portraits und Schnappschüsse, die in dieser Stadt festgehalten werden und die später stranden, schöpft Lejo sein visuelles Material, zoomt auf einzelne Szenen, und holt sie mit dem Grafitstift zurück ins Leben. Die Verkleidungen verändern sich vielleicht ein wenig, die Kennzeichen treten im großen Format erst klar hervor.
Parallel zur Reanimation der Fotos entwickelte Lejo ein akustisches Verfahren und sammelte, auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln, überall in Wien, jene Äußerungen, die, einmal getan, sofort wieder vergessen sind, die aber genau die Wiener Kennzeichen aufweisen, um die es hier geht. Die Aufmerksamkeit des Künstlers hält sie fest, schenkt ihnen wieder eine Umgebung, diesmal eine dauerhaftere.
Und diese Begegnung von Bild und Wort gestaltet sich spannend. Die Montage der scheinbar harmlosesten Szenen, der mehr oder weniger gestellten Bilder, die wir von uns machen, lässt zwischen diesen sich gerade noch fremd gewesenen Komponenten Spannungen entstehen. Dadurch hebt sich die eine Schicht an manchen Stellen von der anderen ab, und man gewinnt beim Betrachten faszinierende, aber auch oft beunruhigende Einblicke, die tiefer führen als das Bild oder der Ausspruch allein.
Gleichzeitig stellt auch diese unerwartete Öffnung gegenüber dem Betrachter ein typisches Wiener Kennzeichen dar: Nur in dieser Stadt wird man als Fremder auf der Straße auf eine Weise angesprochen, als wäre man mitten in einer Unterhaltung kurz unterbrochen worden, und als wende sich der Konterpart nun dem Gespächspartner wieder zu, den Gedanken an der nämlichen Stelle fortsetzend.
Sogar wenn sie raunzig oder ein bisserl misanthropisch daherkommen: Fast wie unter Freunden. Wahrscheinlich wie unter Wienern.
Durch die präzise, mittels der verwendeten Technik sogar überhöhende Beschreibung ihrer Kennzeichen scheint es so, als wendeten sich diese Menschen den Betrachtern zu, ganz persönlich, und überbrückten so in der direkten Ansprache die Distanz zwischen ihrem idealisierten Selbstbild und der Wirklichkeit.
Text: Hellfried Sabathy
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Zu Lejos “Wiener Kennzeichen”
Sie muten einem seltsam vertraut an, die Figuren der Wiener Kennzeichen. Dieser Eindruck kommt nicht von ungefähr, sind die dargestellten Personen doch keineswegs frei erfunden. Die Bilder halten Festgehaltenes fest, sind Zeichnungen alter Fotos, die Lejo im Lauf der Jahre erwarb. Gleichfalls die in einigen Arbeiten verwendeten Texte. Sie wurden zu irgendeinem Zeitpunkt von irgendjemandem geschrieben oder geäußert. Wann und von wem tut nichts zur Sache und bleibt Geheimnis des Künstlers, dem sie auf unterschiedliche Weise zur Kenntnis gelangten. Wesentlich ist: Die Fratzen, Grimassen und Posen vergegenwärtigen Gegenwärtiges, dem Alltagsblick ständig präsent und ihm ihrer scheinbaren Banalität wegen doch nur allzu leicht ins Vergangene entflüchtend. Es sind Gestalten der und mit Geschichte, die in ihrer hochgradig stilisierten Zweidimensionalität eben dieser Historizität wieder entkleidet werden. In der auf Formen reduzierten Darstellungsweise existieren sie jenseits von Raum und Zeit. Es sind Zeichen für Bekanntes, Zeichen für das, was man kennt – Kennzeichen, wenn man so will. Darin liegt die Originalität der Arbeiten. Lejo hält fest, ohne einem kommentarlosen Dokumentarismus das Wort zu reden. Das Festgehaltene wird bei ihm zum Festgemachten. Die Auswahl ist Methode, die Anordnung System. Die scheinbar eindeutige Gestik und Physiognomie sind mehr als ein Schein, doch weniger als das, dessen Schein sie zu sein scheinen.
Für den Betrachter ergibt sich daraus die verstörende Situation, dass er um das Vorher und Nachher des skizzierten Moments nichts wissen kann, obgleich er weiß, dass es beides tatsächlich gab. Für den Anspruch der Interpretation bedeutet das: jede mögliche Deutung könnte richtig sein, wahrscheinlich ist sie aber falsch. Die Stilisierung geht nicht weit genug, um dem Betrachter dieses Dilemma aufzulösen. Er bleibt im Bannkreis aus realer Vergangenheit und irrealer Bildlichkeit gefangen. Er muss mit Versatzstücken aus beiden Welten sein Auslangen finden, mehr noch: die Rätselhaftigkeit als ein den Bildern inhärentes Wesensmerkmal akzeptieren. Man möge es als Perfidie verdammen, dass hier abstrakte Kunst im Gewand des Konkreten daherkommt. Oder sich schweigsam dieses Tricks erfreuen.
Ist der Kuss in “es gibt” ein Vergebung Suchender oder einer, der Liebe bekräftigt? Ist “nehmungsfreude” die harmlose Darstellung eines geselligen Beieinander oder deutet der frivole Blick der Frau in der Mitte auf eine geheime ménage à trois hin? Und was betrachtet der distinguierte Herr aus “zu viel sonne” wohl vornehmlich mit seinem Fernglas? Kurz gesagt: Lejo verheimlicht uns die Antworten, gibt aber gerade so viel preis, dass die Fragen berechtigt genug bleiben, um sie stellen zu müssen.
Neben der konkretisierenden Sinnsuche als Kardinaltugend des Interpretierens sollte man beim Betrachten aber nicht auf das Vordergründige vergessen – den Strich, den Schatten, die Wahl des Bildausschnitts. Lejo versteht sich als Handwerker. Sein Werkzeug ist der Bleistift, sein Urstoff das Papier. Die Idee übernimmt begleitende Funktion, meist in ihrer am schwersten zugänglichen Form: der intuitiven Assoziation. “Ich interessiere mich für Menschen”, sagt der Künstler. Das Ureigene dieses Interesses, der unhintergehbar voreingenommene Blick auf das Leben in der Welt, ist es, das ihn bei der Arbeit leitet. Deshalb Wiener Kennzeichen. Wien ist der Brennpunkt, in dem mehrere Faktoren zusammenlaufen: hier lebt Lejo, hier findet er sein Arbeitsmaterial und hier zeigt er seine Werke zum ersten Mal einem breiten Publikum. In enger Verbundenheit mit der ihn umgebenden Struktur Stadt, sieht und hört er Dinge, die anderen verborgen bleiben. Die Freude am Beobachten, am Detail und der Rolle, die dieses im Ganzen spielt, hat es ihm angetan. Bedeutsamkeit wird hier unverhohlen subjektiv verstanden. Das Kennzeichen Wien haftet deshalb weniger den Bildern an, die in ihrer Stilisierung keinem Raum zugehören, als vielmehr ihrer Genese. Lejos Verweis auf die Fragilität jeglicher Geschichtlichkeit setzt und ist – ein Wiener Kennzeichen.
© Raimund Lang, Journalist, Wien, 2007
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Kunst | |
Written by Alf Altendorf | |
Monday, 16 April 2007 | |
Jahrelang hat LEJO Floh- und
Fetzenmärkte abgegrast. Gefunden hat er Alltagserinnerungen
vergangener Generationen in Form von alltäglichen Fotos -
Menschen mit Hunden, Autos oder dem neuen Gartenschlauch. Verliebt,
stolz oder unaufgesetzt skuril. Unbekannt der Zusammenhang und die
Namen der "Handelnden".
Ergebnis sind grossformatige
Bleistiftarbeiten, feinst ziseliert oder mit wenigen Strichen
entworfen. Manchmal ergänzt um die aus dem
Zusammenhang gerissenen Fototiteln, als Mantra in die Grafiken
einarbeitet.
Das Prinzip Found Footage ist
bekannt. Und bewährt. Besonders bei LEJO ist der liebevolle
Umgang mit dem – oft unterhaltsamen – Ausgangsmaterial. Auch wenn
die Sujets nach Persiflage riechen, verrissen wird nichts und
niemand. Eher respektvoll in einer Zeitmaschine transformiert.
"Wiener Kennzeichen" |
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Last Updated ( Monday, 16 April 2007 ) |
Text: Alf Altendorf
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