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„Ist das schon Müll oder noch Kunst?“Heute ist der alte Knabe fällig. Das intuitive Gesülze muss endlich verbindlichen Aussagen weichen. Was tut der Kerl da eigentlich mit seiner Kleberei, Kratzerei und strichpunktierenden Stiftkosmetik? Ich will Klarheit, soviel ist mir klar. Dieses Vorhaben unverrückbar im Frontallappen eingraviert, klopfe ich an die Türe. Lejo öffnet gut gelaunt wie immer und will mir einen dicken Schmatz aufdrücken. Ich entwinde mich seinem Griff und steuere direkt das gelbe Ledersofa an. Mit einem Satz werfe ich mich auf das alte Möbelstück und presse die Luft aus seinem Inneren, worauf ein sanfter Zug den Raum durchweht. Lejo klettert durch zwei leere Bilderrahmen und nimmt dann am anderen Ende des Sofas Platz. Von hier aus haben wir einen grandiosen Blick auf den Hafen Albern. In einer mehr oder weniger korrekten Matrix hängen die Arbeiten an der Wand. Wir werfen einen Blick auf öfters ein blick, bewundern nach nach wie vor das duale wo alle abfliegen um schließlich unserer müden Existenz im hotel golden beach ein wenig Ruhe und Entspannung zu gönnen. Genug der Besinnlichkeit! „Du bist doch wohl ein Künstler, wie ich allseits höre“, beginne ich. „Darum will ich wissen: welchem Schaffensprinzip folgt dein Artistendasein?“ Da lächelt Lejo verschmitzt und versteckt sich unter einem Haufen Fotos in der Ecke des Raumes. Als er wieder hervor kommt, riecht Lejo nach Klebstoff und hat drei vergilbte Fotos zu einem Weihnachtsstern assembliert. Sein Spott verärgert mich, aber so schnell lasse ich nicht locker. Ich appelliere an seine Vernunft: „Jeder Künstler will der Generation, die ihn umgreift, doch etwas mitteilen“, sage ich inbrünstig. „Erkläre mir einfach deine Message. Wenn es sein muss auch in eigenen Worten…“ Er überlegt kurz, dann schreibt er drei Worte auf ein Blatt Papier: „Finden, Verändern, Neuanordnen“. Auf ein zweites Blatt schreibt er in Kleinbuchstaben groß „Zufall“. Für mich riecht das nach Beliebigkeit und ich halte mir die Nase zu. Aber das nützt nichts. Tief durchfegt mich das Aroma explanativen Nichtseins. Und immer wieder diese Flohmarkattitüde, schießt es mir durch den Kopf. „Weißt du eigentlich, was du unserer Volkswirtschaft damit antust?“, frage ich entgeistert. „Du lähmst die Produktion und hemmst das Neue! Fort mit dem Alten, heißt das Motto unserer Zeit.“ Da schaut Lejo grimmig drein, steigt flugs durch einen grindigen Bilderrahmen und ist verschwunden. Aha, eine Zeitmaschine, ist mir sofort klar. Folgen kann ich ihm nicht, aber durch den Rahmen blickend sehe ich Lejo über den Scherbengraben¹ seiner jugendlichen Heimat wandern. Dort liegt der Müll, der anderen zur Last geworden ist. Das gebe ich mir jetzt aber nicht, denke ich und lege den Rahmen beiseite. Ich nutze Lejos Abwesenheit und sortiere die Bilder des Hafens Albern neu an. Doch als ich mein Werk begutachten will, hängt alles ganz genau so dort wie vorher. Lejo kommt zurück und hat etwas mitgebracht. In seiner Hand hält er eine vom Zahn der Zeit arg hergebeutelte Idee. „Die zeige ich dir ein anderes Mal“, meint er und legt sie vorsichtig in eine Lade. Dann wird er plötzlich ganz ernst. Er kramt das Foto einer Familienfeier hervor. Unbedeutende Menschen aus einer unbedeutenden Zeit, die sich einem unbedeutenden Fest naiven Amüsements hingeben, sind darauf zu sehen. „Weißt du, mein kleiner Philosoph, das könnten auch wir sein“, sagt er bedeutungsschwer. „Und womöglich sind wir das eines Tages sogar.“ Langsam beginnt es mir zu dämmern. Könnte es sein, dass der alte Fuchs Dinge sieht, die mir verborgen bleiben? Ich reibe mir die Augen, aber sehe dennoch nicht klar. Einen letzten Versuch wage ich noch. „Ist das schon Müll, oder noch Kunst?“, frage ich provokant. „Lebst du schon oder denkst du noch?“, kontert Lejo. Da fehlen mir erst einmal die Worte. Und küssen lasse ich mich zum Abschied auch noch. © Raimund Lang, Journalist, Wien, 2009
———————— ¹ Scherbengraben: improvisierte Mülldeponie im ländlichen Raum
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